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Therapie bei Autismus-Spektrum-Störung (ASS)              

bei Kindern mit Diagnosen aus dem autistischen Formenkreis

Autistische Störungen in ICD-10 und DSM-IV

Autistische Störungen sind vielschichtige Phänomene. Die ICD-10 beschreibt solche Verhaltensbeeinträchtigungen innerhalb des Komplexes der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Der Begriff „tiefgreifend“ fasst eine Gruppe von Störungen zusammen, die höchstwahrscheinlich biologische Ursachen haben, von Geburt an vorliegen oder in den ersten Lebensjahren auftreten.

Medizinische Diagnosekriterien sind:

  • Probleme beim wechselseitigen sozialen Umgang und Austausch (etwa beim Verständnis und Aufbau von Beziehungen)
  • Auffälligkeiten bei der sprachlichen und nonverbalen Kommunikation (etwa bei Blickkontakt und Körpersprache)
  • eingeschränkte Interessen mit sich wiederholenden, stereotyp ablaufenden Verhaltensweisen

Aufgrund ihrer Einschränkungen benötigen viele Autisten, manchmal lebenslang, Hilfe und Unterstützung. Autismus ist unabhängig von der Intelligenzentwicklung.

Im derzeit gültigen Klassifikationssystem ICD-10 wird zwischen verschiedenen Autismusformen unterschieden (etwa frühkindlicheratypischer Autismus und Asperger-Syndrom). Das DSM-5 und die ICD-11 (gültig ab 2022) hingegen enthalten keine Subtypen mehr und sprechen nur noch von einer allgemeinen Autismus-Spektrum-Störung (ASS). 

Interdisziplinär

Moderne Hilfekonzepte entsprechen der Komplexität der Zusammenhänge und basieren mehr und mehr auf sogenannten ganzheitlichen uns systemischen Sichtweisen:

  • Ganzheitlich – Lern-, Leistungs- und Verhaltens-Probleme eines Kindes werden in seine gesamte Entwicklung von Sensomotorik (sensorische Integration), Sprache & Psyche eingeordnet.
  • Systemisch – die Lern-, Leistungs- und Verhaltens-Probleme werden im Kontext seines familiären und schulischen Umfelds eingeordnet.

 

Integrativ

Daraus resultieren entsprechend integrative, d.h. interdisziplinäre Unterstützungskonzepte für die Arbeit mit dem Kind/Jugendlichen, seinen familiären und jeweiligen professionellen Bezugspersonen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Eltern (Familie), Schule (Kindergarten), Ärzten und therapeutischem Fachpersonal ist essenziell.

1. Therapeutisches Vorgehen

Die Grundlagen der Therapie sind:

  • Orientierung an den Ressourcen (Stärken, Kräften) der Beteiligten (Kind/Jugendlicher, Eltern, Schule),
  • Unterstützung für das Kind bzw. den Jugendlichen und dessen Umfeld;
  • Ausgang von einer individuellen Diagnostik zur Förderung und orientierenden Gesprächen mit den Betroffenen und dessen Umfeld
  • Individuelle Förderung unter Einbezug entwicklungsorientierter Ansätze (Sensomotorik, Sensorische Integration, Sprache, psychische Kompetenzen),
  • Berücksichtigung psychologischer, pädagogischer und medizinischer Konzepte,
  • Lösungsorientierte Beratung mit Eltern und Lehrkräften.

 

Wesentliche Merkmale der ergotherapeutischen Arbeit sind

  • das individuell abgestimmte Angebot
  • das Zusammentreffen von Förderansätzen aus verschiedenen Disziplinen
  • und die Unterstützung für Kind und Umfeld.

1. 1 Diagnostik

Für das komplexe Erscheinungsbild und die individuell so unterschiedlichen Ausprägungen sind differenzierte Diagnose- und Unterstützungsmöglichkeiten zwingend erforderlich. Nach Diagnosestellung des Arztes ist eine Vernetzung der verschiedenen Disziplinen, Arzt, Schule, Eltern unabdingbar.

Mit Hilfe standardisierter Fragebögen (EEFA, CAV, BSFA) und persönlicher Gespräche kann das, bei jeder ASS individuell ausgeprägte, Erscheinungsbild und die damit verbundene schulische Problematik gezielt dargestellt und als Grundlage einer individuellen Betreuung herangezogen werden.

Essenziell sind dabei sowohl die Defizite aber vor allem auch die Stärken des einzelnen Kindes herauszuarbeiten.

Je nach Alter des Kindes und Ausprägungsgrades der Defizite ist eine Diagnostik der möglichen Begleiterkrankungen vorzunehmen.

Typische komorbide Störungen bei ASS, die in der Diagnostik und Anamnese Berücksichtigung finden sind:

  • AD(H)S
  • Wahrnehmungsdefizite (visuell u./o. auditiv)
  • LRS
  • Dyskalkulie
  • Sensomotorische Defizite
  • Sprachdefizite (expressiv u./o. rezeptiv)

Zur Anwendung kommen stets standardisierte Testverfahren und gezielte Beobachtungen wie z.B.:

  • TEA-CH
  • DRT
  • DEMAT
  • TROG
  • DTVP-2

1. 2 Arbeiten mit den Kräften des Kindes

In der Förderung zeigt die ressourcenorientierte Arbeit mit Kindern und Umfeld erwiesenermaßen die größte Effektivität. Daher hat die Unterstützung mehrere Schwerpunkte: Im Mittelpunkt der Therapie steht in aller Regel die Arbeit mit dem Kind.

Bei Kindern mit ASS steht die Beziehungsarbeit an erster Stelle. Die Betroffenen benötigen klare Strukturen und ein möglichst konstantes Umfeld. Dies bedeutet eine generelle Verlässlichkeit und sicheres Auftreten des Therapeuten, ein Einblick in das familiäre und schulische Umfeld  ist dabei oft hilfreich.

Da die Problematik der einzelnen Kinder sehr unterschiedlich und individuell ausgeprägt sind, müssen bei Kindern mit ASS Nähe und Distanz, vor allem während der Therapie speziell angepasst werden.

Auch die Gestaltung des Arbeitsplatzes spielt eine zentrale Rolle und muss entwickelt werden, um dem betroffenen Kind ein möglichst ideales Lernumfeld zu bieten.

Des weiteren sind Rückzugsmöglichkeiten, um Kinder bei Überforderung oder Reizüberflutung zu schützen, zu installieren.

Eine Ritualisierung des Therapieablaufes hilft den Kindern sich auf die an sie gestellten Aufgaben adäquat einzulassen und effektiv mitzuarbeiten.

1. 3 Verhaltenstherapeutische Ansätze

Positive Effekte zeigen sich bei der Einbindung von Konzepten aus der kognitiven Verhaltenstherapie. Die kognitive Verhaltenstherapie verbindet Methoden auf kognitiver Ebene und Verhaltensebene. Um eine Veränderung kognitiver Muster und damit verbundener Verhaltensweisen zu erreichen, werden kognitive Verfahren und verhaltensorientierte Verfahren eingesetzt. Die Therapie ist didaktisch und direktiv, d. h. der Therapeut fungiert als Lehrer; doch soll der Klient befähigt werden, selbstständig zu denken, zu fühlen und zu handeln.

Der Einsatz von operanten Verfahren mit Hilfe eines Tokensystems hat sich in der Praxis bei Kindern mit ASS bewährt. Die Kinder bekommen ein besseres Verständnis für Strukturen, Rituale und adäquates Verhalten. Vor allem kleinere Kinder werden motiviert, zunächst die korrekte Verwendung von Spielzeug und anderen Übungsmaterialien, Spielverhalten, Imitation, sowie der Aufmerksamkeit zu üben. Im weiteren Verlauf folgen Übungen zur non-verbalen und verbalen Kommunikation sowie der sozialen Interaktion in Alltagssituationen.

Verhaltensversuche und angemessenes Verhalten werden zunächst materiell, dann sozial verstärkt. Bei manchen Kindern ist ein sehr kleinschrittiges Anleiten im Rahmen des diskreten Lernformats über Führung (prompting), Verhaltensverkettung (chaining) und Verhaltensmodifikation (shaping) mit sehr viel Wiederholung und Üben von einzelnen Schritten notwendig. Andere Kinder lernen basale Fertigkeiten von sich aus schneller (insbesondere wenn sie leichter betroffen sind und von Beginn an bessere kognitive Fertigkeiten haben). Bei diesen Kindern ist das Training von Schlüsselverhaltensweisen und das Lernen am Modell im Mittelpunkt. Deshalb sind idealerweise Eltern und Erzieher/Lehrer in die Therapie eingebunden um in derselben Art und Weise an den gleichen Therapiezielen zu arbeiten. Dies steigert die Anzahl der Übungseinheiten und führt zu einer Generalisierung der erlernten Fertigkeiten.

1. 4 TEACHH

TEACCH (Behandlung und pädagogische Förderung autistischer und in ähnlicher Weise kommunikationsbehinderter Kinder) ist ein kommunikationsorientierter Ansatz zur Förderung von Menschen mit Autismus.

Die beiden zentralen Bereiche des TEACHH sind strukturiertes Fördern (Unterrichten) und Visualisierung.

Beim strukturierten Fördern geht es um Vermittlung von Fähigkeiten im Alltag zurechtzukommen. Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei die räumliche und zeitliche Strukturierung, sowie die Gestaltung des Arbeitsmaterials. Aufgrund der besonderen Informationsverarbeitung profitieren Menschen mit ASS von strukturierter Hilfe. Es fördert das Gefühl von Sicherheit und Kompetenz, denn man kann sich besser auf neue Situationen einstellen, wenn man versteht, wann etwas passiert. Man unterscheidet bei der Strukturierung von Abläufen Zeitpläne, Aufgabenpläne und Instruktionen. Diese sollten aber immer wieder auf ihre Notwendigkeit und Angemessenheit überprüft und gegebenenfalls reduziert werden.

Auch hier ist die enge Zusammenarbeit mit Eltern und Schule, um strukturelle Verbesserungen zu erzielen, notwendig. In der Therapie können Abläufe eingeübt werden, die auf andere Situationen übertragen werden.

  • Beispiele für die räumliche Strukturierung:

Ortsbezeichnungen, Raumteiler (z. B. Regale), Teppiche die bestimmte Bereiche markieren, Vorhänge, Linien auf Fußböden, Zuordnung von Gegenständen zu bestimmten Plätzen, Bilder und Beschriftungen

  • Beispiele für die zeitliche Strukturierung:

Klingel, Signale, Wörter, Anfangs- und Endroutine, Uhren, Zeitpläne im entsprechenden Abstraktionsniveau

  • Strukturiertes Material und Instruktionen:

Gestaltung der Arbeitsfläche, visuelle Instruktionen (Schablonen, Bildfolgen, Beispiele), Anordnung des Materials in gekennzeichnete Materialbehälter

Der zweite wichtige Bestandteil des TEACHH ist die Visualisierung. Kinder mit ASS können oft mit verbalen Anweisungen oder Gesten und Mimik nicht adäquat umgehen und benötigen deshalb unterstützendes Material in Form z.B. von Bildkarten.

  • Beispiele der Visualisierung von Räumen:

Verdeutlichung der Funktion der Orte: im Raum durch visuelle Barrieren (z. B. Regale), welche die einzelnen Bereiche (Arbeiten, Pause etc.) abgrenzen; die einzelnen Bereiche durch Symbole oder Gegenstände (z. B. Kopfhörer für Pausenbereich, Raumbeschilderung zur Orientierung im Schulhaus) kennzeichnen; Regale/Schränke mit Fotos/Symbolen beschildern (z. B. auch für Jacke, Schuhe, Mütze)

  • Zeit:

Visuell anschaulich gestaltete Tagespläne erleichtern es, sich auf Abweichungen vom normalen Ablauf einzustellen; Time-Timer (die verbleibende Zeit (z. B. für eine bestimmte Arbeit) wird durch eine immer kleiner werdende Fläche dargestellt (Sanduhr)

  • Handlung:

Visuell verdeutlichen, wo sich etwas befindet und/oder seinen Platz hat (z. B. Tisch-Set mit Teller-, Glas-, Besteck-Aufdruck als Orientierungshilfe zum Tisch decken, Mäppchen); kurze Handlungen visuell verdeutlichen (z. B. die einzelnen Schritte des Händewaschens, Schuhe zubinden)

1. 5 Training sozialer Kompetenzen in der Gruppe

Bei Kindern, Jugendlichen und auch bei Erwachsenen, die kognitiv durchschnittlich begabt sind, ist ein Autismus-Spezifisches Soziales Kompetenztraining in der Gruppe besonders effektiv, um die soziale Interaktion, die eigene Handlungsplanung und den eigenen Umgang mit Ärger und Wut zu verbessern.

Je nach Alter und Zusammensetzung der Gruppe kommen verschiedene Gruppenkonzepte in der Therapie zur Anwendung wie:

  • Das neuropsychologische Training Attentioner (Petermann, Beltz Verlag)
  • Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern (Lauth Schlottke, Beltz Verlag)
  • Behandlung sozialer Ängste (Melfsen, Walitza, Beltz Verlag)
  • Training mit Jugendlichen (Petermann, Beltz Verlag)

Sämtliche Konzepte haben die Ziele:

  • Umgang mit Konflikten und Problemlösungen
  • Selbstregulation
  • Achtsamer Umgang miteinander
  • Förderung von Selbstreflektion
  • Wahrnehmung eigener und fremder Gefühle
  • Übertragung in den Alltag

1. 6 Lerntherapeutische Ansätze

Da viele Kinder mit ASS über ihre Grundproblematik hinaus oft Schwierigkeiten in der Rechtschreibung, Lesefertigkeit und oder mathematischen Fertigkeit entwickeln ist eine

Analyse und Diagnose von eventuellen Teilleistungsstörungen sinnvoll.

Durch Anwendung spezieller lerntherapeutischer Materialien (z.B. Montessori-Material, Bildkarten, etc.) können individuelle Defizite, in Absprache mit dem Lehrer*in, dem Kind an seinen Stärken orientiert vermittelt werden.

Entscheidend für Lernerfolge ist es dabei an den tatsächlichen Lernständen der Kinder anzusetzen um diese zu generieren.

1. 7 Motorik- und Wahrnehmungstraining

 

Bei einigen Kindern mit ASS bestehen Defizite in der Grob-, und Feinmotorik. Darüber hinaus zeigen sich häufig Wahrnehmungsstörungen in der visuellen und/oder auditiven Wahrnehmung.

Nach einer gezielten Diagnostik können motorische Übungen (z.B. nach Kesper oder SI) dem Kind helfen Unsicherheiten abzubauen und ein sichereres Auftreten zu ermöglichen.

Wahrnehmungsübungen helfen des weiteren vielen Kindern z.B. mit Störreizen adäquat umzugehen. Zur Anwendung kommen dabei u.a. Übungen von Frostig oder Audiva.

2. Arbeit mit Eltern und Lehrkräften

Das Umfeld von Kindern mit ASS hat oft einen erhöhten Leidensdruck und häufig negative Erfahrungen gesammelt. Daher ist es notwendig eine Schnittstelle zwischen den einzelnen Disziplinen aufzubauen, um Erwartungen, Differenzen und abgestimmtes Verhalten abzustimmen.

Das Ziel gemeinsamer Beratungen ist es, Kräfte im Umfeld des Kindes zu mobilisieren, die dazu beitragen können, dem Kind eine positive Entwicklung zu ermöglichen.

 

Lösungsorientierte Kurzberatung

Die lösungsorientierte Kurzberatung erweist sich  als sehr effektives Mittel. Mit dieser Methode ist es möglich, vordergründig unterschiedliche bis konflikthafte Zielsetzungen der Gesprächspartner/-innen miteinander zu vereinbaren. Darüber hinaus leistet sie auch einen wesentlichen Beitrag, die Möglichkeiten, Fähigkeiten und Stärken des Kindes sowie der Familie, der Erziehungskräfte und des weiteren Umfelds zu entdecken, bewusst zu machen und zu stützen. Konkret gilt es z. B. die Möglichkeiten zu besprechen, welche Unterstützung Eltern(-teile) benötigen, um ihr Kind noch besser in dieser schwierigen Phase begleiten zu können. Der Ausgang von der Frage: „Was läuft gut?“ – parallel zur ressourcenorientierten Diagnostik – hilft den Klienten, Lösungen und eigene konkrete Schritte zu entwickeln, z. B. zur Entlastung von Situationen wie Hausaufgaben und für allgemeine Be- und Erziehungsprobleme.

Elternprogramme wie OptiMind oder Triple-P können ergänzend sinnvoll sein.

 

Umfeld

Lehrkräfte, Erzieher und andere Begleiter des Kindes müssen mit dem alltäglichen Handlungsablauf des Kindes vertraut gemacht werden. Die Arbeit des Therapeuten muss dabei stets transparent sein. Da viele ASS Kinder in ihrem Verhalten bei Lehrern auf Unverständnis stoßen, muss dieses Verhalten erklärt und sinnhaft dargestellt werden um ein offenes und abgestimmtes Förderprogramm anzuwenden.

Der Einbezug der Mitschüler ist altersabhängig oft sinnvoll um Verständnis zu wecken. Die Zusammenarbeit mit „Autismusbeauftragten“ der jeweiligen Schulbezirke hat sich dabei als sinnvoll herausgestellt.

Die Fokussierung auf Ziele und Ressourcen ist dabei ein bewährtes und erfolgreiches Vergehen und kann im Einzelgespräch, auf Elternabenden, in Elterngesprächskreisen u.a. angewandt werden.

Ihr Kontakt zu uns

Adresse

Großer Lückenweg 56, 75175 Pforzheim

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