Was ist Stimming?

Stimming ist ein häufiges Verhalten von vielen Kindern und Jugendlichen, die sich im Autismus-Spektrum befinden. Das Problem ist, dass diese Angewohnheit insbesondere von Außenstehenden nicht verstanden wird. Ein besseres Verständnis dieser Art der Selbstregulation kann für Eltern und Angehörige jedoch entscheidend sein, um das Kind aufmerksam zu unterstützen und zu fördern.
Was ist Stimming?
Der Begriff stammt von „self-stimulatory behavior“, was sich auf sich wiederholende und oft rhythmische Bewegungen oder Geräusche bezieht, die von Betroffenen ausgeübt werden, um die eigenen Sinne oder Gefühle zu regulieren. Besonders bei Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum ist dieses Verhalten eine wichtige Methode zur Selbstregulation im Alltag. Allerdings findet sich dieses Verhalten nicht nur bei autistischen Personen. Auch neurotypische Menschen zeigen manchmal entsprechende Verhaltensweisen, wie beispielsweise das Wippen mit dem Bein, wiederholtes Klicken mit einem Kugelschreiber oder das Trommeln mit den Fingern. Der Hauptunterschied liegt in der Intensität, Häufigkeit und der Bedeutung des Stim-Verhaltens. Für autistische Kinder kann Stimming eine funktionale und häufig relevante Rolle im Leben spielen.
Typische Stimming-Verhaltensweisen
Stimming kann in vielen Formen auftreten, die so vielfältig sind wie die Kinder selbst. Zu den häufigsten Arten zählen:
- Körperliche Bewegungen: wie z. B. das Flattern der Hände, das Wippen des Oberkörpers, rhythmisches Wippen, Fingerklopfen oder das Gehen auf Zehenspitzen.
- Wiederholte Geräusche: dazu gehören Summen, rhythmisches Singen, Lautnachahmung, Echolalie (Wiederholen von Wörtern oder Sätzen) oder Klatschen.
- Visuelle Stimulation: wie das häufige Blinzeln, Augenrollen oder das ständige Betrachten von sich drehenden Gegenständen wie Ventilatoren oder Rädchen.
- Taktile Stimulation: dazu zählt das Streicheln von bestimmten Materialien, das Reiben der Haut oder das Drehen und Drücken von Objekten.
- Orale Stimulation: hierunter fallen das Kauen auf Kleidung oder Stiften, Zähneknirschen oder das Lecken an Dingen.
Für Außenstehende wirken diese Verhaltensweisen vielleicht seltsam, aber für betroffene Kinder und Jugendliche können sie eine wichtige regulierende Funktion erfüllen.
Warum Stimming bei Kindern mit Autismus nicht unüblich ist
Für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung ist diese Art der Selbstregulation mehr als nur eine Gewohnheit. Es ist ein essenzieller Teil ihrer täglichen Routine, ihrer Kommunikation und ihrer Art, mit einer überreizten Umgebung umzugehen. Daher ist es auch für Eltern und Angehörige wichtig zu erkennen, dass Stimming in vielen Situationen eine sinnvolle und nützliche Strategie für ihr Kind darstellen kann.
Gründe für Stimming
- Selbstregulation: Autistische Kinder sind oft besonders empfindlich oder haben kaum eine Reaktion auf Reize aus ihrer Umgebung. Stimming hilft ihnen, mit einer Reizüberflutung umzugehen oder sensorische Unterstimulation auszugleichen. Dies ist ein aktiver Versuch des Gehirns, ein Gleichgewicht zu schaffen.
- Stressabbau: In stressigen oder überwältigenden Situationen – zum Beispiel in lauten Klassenräumen, beim Einkaufen oder bei emotionalen Konflikten – kann es beruhigend wirken. Das wiederholte Ausführen bekannter Bewegungen oder Geräusche bietet Sicherheit und unterstützt sie dabei, die Kontrolle über ihre Reaktionen zu behalten.
- Freude und positive Stimulation: Nicht jede Form von Stimming ist Ausdruck von Stress, bzw. Stressabbau. Viele Kinder tun dies einfach, weil es ein gutes Gefühl vermittelt. Das Anschauen von rotierenden Lichtern oder das Berühren eines angenehmen Materials kann Freude bringen und das Nervensystem positiv anregen.
- Gefühle zum Ausdruck bringen: Besonders Kinder, die in ihrer Sprache eingeschränkt sind, nutzen Stimming auch zur Verständigung. Ob sie glücklich, frustriert, ängstlich oder begeistert sind – es kann in diesen Fällen eine nonverbale Art sein, die inneren Emotionen auszudrücken.
Stimming: Häufige Missverständnisse
Viele Eltern fühlen sich unsicher, wenn sie bemerken, dass ihr Kind häufiges Stimming-Verhalten zeigt – besonders wenn Außenstehende verwirrt oder negativ reagieren. Daher ist es wichtig, gängige Missverständnisse auszuräumen:
- Stimming ist eine schlechte Angewohnheit: Diese Vorstellung ist nicht nur falsch, sondern auch potenziell schädlich. Stimming ist keine Marotte, sondern ein wesentlicher Teil von Selbstregulierung. Ein Versuch, dieses Verhalten abzulegen, kann Kinder in große emotionale Schwierigkeiten bringen und schlimmstenfalls zu Meltdowns führen – also zu extremen Stressreaktionen.
- Stimming deutet darauf hin, dass etwas nicht stimmt: Stimming kann zwar ein Indikator für Überforderung oder Angst sein – aber das ist nicht immer der Fall. Manchmal geschieht es einfach aus Freude oder zur sensorischen Selbststimulation. Eltern sollten daher darauf achten, nicht jedes Stimming-Verhalten automatisch als ein „Warnsignal“ zu deuten.
- Stimming stört beim Lernen: Besonders im schulischen Umfeld wird Stimming häufig als störend oder ablenkend wahrgenommen. Dabei kann es autistischen Kindern helfen, sich besser zu konzentrieren, wenn sie ihre Sinneswahrnehmung gezielt steuern. Lehrkräfte sollten entsprechend geschult und sensibilisiert werden, um diese Zusammenhänge zu verstehen.
Akzeptanz von Stimming ist von zentraler Bedeutung
Die Akzeptanz von Stimming bedeutet, das Kind in seiner gesamten Persönlichkeit zu akzeptieren. Eltern, Pädagogen und Therapeuten sollten erkennen, dass nicht jedes Verhalten angepasst oder „normalisiert“ werden muss. Vielmehr sollte die individuelle Bedürfnislage in den Mittelpunkt gerückt werden.
Es gibt natürlich auch Situationen, in denen Stimming angepasst, bzw. verringert werden sollte, zum Beispiel wenn:
- das Verhalten selbstverletzend ist (z. B. Schlagen gegen den eigenen Kopf),
- das Kind dadurch gefährdet wird (z. B. Kauen auf gefährlichen Gegenständen),
- das Umfeld stark gestört wird (z. B. während Prüfungen oder in ruhigen Räumen).
In solchen Fällen geht es nicht darum, das Stimming zu untersagen, sondern darum, sichere Alternativen zu finden, die denselben Zweck erfüllen.
Unterstützung und Förderung eines gesunden Stimming-Verhaltens
Anstatt Stimming zu stoppen, können Eltern ihr Kind dabei unterstützen, gesunde Methoden zur Selbstregulierung zu finden. Hierbei helfen spezielle Maßnahmen, die an Verständnis, Sicherheit und sensorischer Integration anknüpfen.
Ermutigung zu angemessenem sensorischem Stimming
Nicht jedes Stimming muss verändert bzw. reguliert werden – jedoch können einige Verhaltensweisen durch geeignete Alternativen ersetzt werden. Eltern können beispielsweise folgende Alternativen anbieten:
- sensorische Spielzeuge wie Knautschbälle, Fidget Spinner oder Stofftiere,
- weiche Decken oder Kleidung mit angenehmer Haptik,
- Musik oder visuelle Reize wie Lava-Lampen, Glitzerflaschen oder LED-Lichter.
Wichtig ist dabei, dass das Kind selbst entscheiden kann, was ihm guttut.
Sensibilisierung des sozialen Umfelds
Besonders im Kindergarten, in der Schule oder bei Freizeitangeboten ist es wichtig, dass die Umgebung über Stimming Bescheid weiß. Gespräche mit Lehrern, Schulbegleitern und anderen wichtigen Personen können dazu beitragen, Missverständnisse zu reduzieren und eine positive Einstellung zu fördern.
Unterstützung von Fachleuten
Ergotherapeuten oder Therapeuten mit Erfahrung in der Arbeit mit Autisten können maßgeschneiderte Strategien entwickeln, die auf die speziellen sensorischen Bedürfnisse des Kindes abgestimmt sind. Das Ziel ist, hilfreiche Stimming-Verhaltensweisen zu unterstützen und schädliche Verhaltensweisen durch sinnvolle Alternativen zu ersetzen.
Stimming ist ein essenzieller Bestandteil der Lebenswelt vieler Kinder und Jugendlicher mit Autismus.
Für Eltern und Angehörige ist es wichtig, dieses Verhalten nicht vorschnell zu bewerten oder zu unterdrücken, sondern dessen Funktion und Bedeutung zu verstehen. Durch ein akzeptierendes Umfeld, gezielte Förderung und die Begleitung durch Fachkräfte kann Stimming zu einer hilfreichen Strategie werden, die Kindern mit Autismus hilft, ihren Alltag selbstbestimmt und stabil zu gestalten. Die Aufgabe von Eltern besteht nicht darin, das Kind zu „ändern“, sondern es mit all seinen besonderen Ausdrucksformen liebevoll zu begleiten.
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