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Was versteht man unter Gefühlsblindheit?

 
Was versteht man unter Gefühlsblindheit?

Der Begriff „Alexithymie“, auch bekannt als „Gefühlsblindheit“, hat seinen Ursprung im Griechischen und bedeutet übersetzt „keine Wörter für Gefühle“. Dies beschreibt eine erhebliche Schwierigkeit, eigene Emotionen zu erkennen, zu unterscheiden und verbal auszudrücken. Für Eltern kann dies im Familienleben eine große Herausforderung sein, da Kinder mit Alexithymie oft nicht in der Lage sind, ihre emotionalen Empfindungen zu benennen. Körperliche Reaktionen wie Herzklopfen in Situationen von Angst oder muskuläre Anspannung bei Wut werden häufig nicht als emotionale Ausdrucksformen erkannt – weder vom betroffenen Kind noch von dessen Umfeld.

Es ist wichtig zu begreifen, dass Alexithymie nicht gleichbedeutend mit emotionaler Kälte ist. Kinder, die davon betroffen sind, haben durchaus Gefühle, jedoch fällt es ihnen schwer, diese in Worte zu fassen oder sie mit bestimmten Situationen in Verbindung zu bringen.

Neurobiologische Grundlagen der Alexithymie

Die Ursachen von Alexithymie sind nicht ausschließlich auf die Persönlichkeit oder die Erziehung eines Kindes zurückzuführen. Neurowissenschaftliche Forschung zeigt vielmehr, dass bestimmte Bereiche im Gehirn bei betroffenen Personen anders arbeiten. Dazu zählen folgende Hirnregionen:

  • Spiegelneuronen: Diese sind entscheidend für Empathie und soziales Lernen. Eine verringerte Aktivität kann dazu führen, dass die emotionale Verbindung zu anderen schwieriger wird.
  • Insula: Sie spielt eine wesentliche Rolle für das sogenannte „Bauchgefühl“ und die emotionale Verarbeitung körperlicher Empfindungen.
  • Kleinhirn: Der limbische Teil des Kleinhirns trägt zur bewussten Wahrnehmung von Körperzuständen bei, die mit emotionalen Erfahrungen verbunden sind.
  • Amygdala: Sie ist wichtig für emotionale Reaktionen wie Angst oder Wut. Eine veränderte Aktivität in diesem Bereich kann die Wahrnehmung dieser Gefühle beeinflussen.

Zusätzlich deuten genetische Studien auf potenzielle Verbindungen zu bestimmten Genvarianten hin, insbesondere im Zusammenhang mit Serotonin oder Dopamin. Der Einfluss des Hormons Oxytocin – welches mit sozialen Bindungen in Verbindung gebracht wird – wird ebenfalls gegenwärtig untersucht.

Gefühlsblindheit ist nicht nur ein Teil des Autismus

Es wird deutlich, dass Alexithymie ein komplexes Phänomen ist, das sowohl neurobiologische, soziale als auch psychologische Ursachen hat. Besonders bei Kindern im Autismus-Spektrum sollte Alexithymie nicht nur als Teil des Autismus betrachtet werden, sondern differenziert analysiert werden.

Alexithymie im Zusammenhang mit Autismus

Ungefähr die Hälfte aller Personen im Autismus-Spektrum zeigt zudem Anzeichen von Alexithymie. Dennoch sind beide Phänomene unabhängig und haben unterschiedliche Ursachen und Merkmale. Während Autismus vor allem durch Abweichungen in sozialer Kommunikation und Verhalten geprägt ist, bezieht sich Alexithymie spezifisch auf das Empfinden und Verarbeiten von Emotionen. Die Überschneidungen zwischen diesen beiden Zuständen können jedoch zu Verwirrungen führen. Viele Eltern berichten zum Beispiel, dass ihr Kind soziale Gelegenheiten meidet, nur selten Blickkontakt aufnimmt oder Schwierigkeiten hat, die Emotionen anderer wahrzunehmen – Symptome, die sowohl bei Autismus als auch bei Alexithymie auftreten können.

Ein wichtiger Punkt ist die emotionale Kommunikation innerhalb der Familie. Studien legen nahe, dass besonders bei autistischen Kindern mit Alexithymie die emotionale Interaktion zwischen Eltern und Kind eingeschränkt ist. Für betroffene Familien kann es daher nützlich sein, sich intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen und gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Merkmale von Alexithymie bei Kindern

Im Umgang mit einem Kind, das betroffen ist, können insbesondere folgende Merkmale beobachtet werden:
Erkennen und Benennen von Emotionen: Es fällt dem Kind schwer, seine Gefühle wie Traurigkeit, Wut oder Angst zu benennen, selbst wenn diese Empfindungen vorhanden sind.

  • Verständnis für die Gefühle anderer: Emotionale Signale, wie ein betrübter Gesichtsausdruck oder ein gereizter Ton, werden oft nur schwer erkannt und eingeordnet.
  • Sachlichkeit statt Emotionalität: Bei Gesprächen oder Problemlösungen ziehen die betroffenen Kinder rationale Erklärungen vor und meiden emotionale Bewertungen.

Diese Eigenschaften führen häufig dazu, dass Kinder in ihrem sozialen Umfeld als zurückhaltend oder schwer erreichbar wahrgenommen werden, was wiederum zu Missverständnissen oder Einsamkeit führen kann.

Emotionale Wahrnehmung bei Autismus – mit und ohne Alexithymie.

Nicht alle Kinder mit Autismus sind von Alexithymie betroffen – und vice versa. Einige autistische Kinder können ihre eigenen Emotionen gut erkennen und empathisch auf andere reagieren. Hier liegt die Schwierigkeit oft eher im Verständnis von sozialen Normen oder nonverbalen Signalen wie Mimik und Körpersprache.

Das zeigt, wie wichtig es ist, individuelle Unterschiede zu beachten. Eltern sollten sich nicht nur auf diagnostische Kategorien stützen, sondern das emotionale Erleben ihres Kindes genau beobachten – am besten mit Unterstützung von Fachleuten.

Auswirkungen auf soziale Beziehungen

Sowohl Autismus als auch Alexithymie haben Einfluss auf das Sozialverhalten, jedoch auf unterschiedliche Weise. Kinder, die beide Merkmale zeigen, kämpfen häufig mit folgenden Herausforderungen:

  • Eingeschränkte Fähigkeit zum emotionalen Ausdruck: Das Kind erscheint zurückhaltend oder emotional „flach“, was von Gleichaltrigen fälschlicherweise als Desinteresse gedeutet werden kann.
  • Missverständnisse in der Kommunikation: Emotionale Reaktionen sind von außen nur schwer zu beurteilen, was zu Konflikten führen kann.
  • Schwierigkeiten beim Abschluss von Freundschaften: Freundschaften bilden sich oft langsamer oder halten nicht lange, da gegenseitiges emotionales Verständnis erschwert ist.

Für Eltern bedeutet dies, dass sie häufig eine vermittelnde Rolle einnehmen müssen, um das soziale Umfeld ihres Kindes aufzuklären und somit verständnisvolle Kontakte zu fördern. Ein strukturierter Alltag, klare Regeln und empathische Kommunikation können hier hilfreich sein.

Emotionale Gesundheit und psychisches Wohlbefinden

Die Schwierigkeit, eigene Emotionen klar zu benennen oder zu verarbeiten, kann zu einem Gefühl innerer Leere oder emotionaler Überforderung führen. Kinder mit Autismus und Alexithymie beschreiben häufig:

  • Einsamkeits- und Isolationserlebnisse
  • Schwierigkeiten beim Umgang mit Stress oder Frustration
  • Anzeichen von Angststörungen oder depressiven Verstimmungen

Diese Belastungen können im Jugendalter stärker werden, besonders wenn das Umfeld wenig Verständnis zeigt oder keine geeignete therapeutische Hilfe vorhanden ist. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig geeignete Unterstützungsmaßnahmen zu ergreifen – insbesondere, wenn zusätzlich Symptome von ADHS auftreten.

Therapieansätze bei Autismus, Alexithymie und ADHS

Für Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung, die zusätzlich Alexithymie und ADHS zeigen, ist eine differenzierte therapeutische Begleitung besonders entscheidend. Dabei können verschiedene Therapieformen individuell kombiniert werden:

  • Verhaltenstherapie: Die kognitive Verhaltenstherapie hilft Kindern, ihre Gedanken und Verhaltensmuster zu erkennen und zielgerichtet zu ändern. Besonders bei ADHS kann sie dazu beitragen, Impulssteuerung und Konzentration zu verbessern. In Verbindung mit Alexithymie werden emotionale Reaktionen nachvollziehbarer und regulierbarer.
  • emotionszentrierte Therapie: Im Mittelpunkt steht hier die Unterstützung der emotionalen Wahrnehmung und der Fähigkeit, Gefühle auszudrücken. Techniken wie das emotionale Schauspiel oder das Verwenden von Gefühlskarten können Kindern dabei helfen, ein Vokabular für ihre Emotionen zu erlernen.
  • Ergotherapie: gilt für viele Kinder mit Autismus und ADHS als eine wertvolle Methode, um Selbstregulation und soziale Fähigkeiten zu unterstützen. Sie konzentriert sich auf alltägliche Fähigkeiten und kann durch geordnete Abläufe emotionale Stabilität fördern.
  • Elterntraining und systemische Familientherapie: Da Eltern eine zentrale Rolle in der Entwicklung einnehmen, ist es sinnvoll, sie aktiv in den Therapieprozess einzubeziehen. Elterntrainings bieten Hilfestellungen im Umgang mit herausforderndem Verhalten und stärken die Beziehung zwischen Eltern und Kind.
Individuelle Wege begleiten – mit Verständnis und Geduld

Eltern, die ein Kind mit Autismus, Alexithymie und möglicherweise ADHS begleiten, stehen vor einer vielschichtigen Herausforderung. Es braucht Einfühlungsvermögen, Geduld und fachliche Unterstützung, um die emotionale Entwicklung des Kindes zu fördern und seine Bedürfnisse angemessen zu verstehen. Je früher entsprechende therapeutische Angebote genutzt werden, desto größer ist die Chance, das Kind in seiner emotionalen und sozialen Entwicklung nachhaltig zu stärken. Dabei gilt: Nicht jedes Kind braucht die gleiche Hilfe – aber jedes Kind verdient eine, die zu ihm passt.

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